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Autor: Sonja Hausmanns | Fotos: Simon Erath

Krefeld, die Geburtsstadt des Bandoneons, hat eine lebendige Tangoszene. Wir haben einige der Akteure an einen Tisch gebracht – zu einem Gespräch über alte Klischees und neue Perspektiven.  

Flavia Latina ist zwar in Argentinien aufgewachsen, zum Tango kam sie aber erst durch den Besuch einer Tangoveranstaltung in der Gastronomie „Kulisse“, die 2021 geschlossen wurde. „Als Argentinierin fühle ich mich dafür verantwortlich, dass der Tango in dieser Stadt nicht stirbt“ – deshalb eröffnete Flavia Latina 2022 das T-An-Go-Lo.  

Andrea (die in der Tangoszene ausschließlich ihren Vornamen nutzt) unterrichtet Tango in Krefeld und am Tanzhaus NRW in Düsseldorf. Die gebürtige Chilenin hat den Tanz über ihren argentinischen Großvater kennengelernt. Hinterhof-Schmuckstücke wie das T-AN-GO-LO sind ihrer Erfahrung nach typisch für die Tangoszene weltweit.  

Armin Arabi tanzt seit 17 Jahren Tango – musste allerdings lange überredet werden, bevor er die Chance ergriff, bei zwei argentinischen Paaren zu lernen. Seit etwa 16 Jahren unterrichtet er selbst; seit fünf Jahren gemeinsam mit Andrea in der Fabrik Heeder.

Olaf Ebeling findet Tangotanzen „ganz schön schwierig“ und sieht sich trotz mehrerer Kurse nicht als Tangotänzer. Vor allem begeistert er sich für die hochgradig gepflegte und elegante Kultur, wie er es beschreibt. Gemeinsam mit Flavia Latina arbeitet er daran, neue Konzepte zu entwickeln, um den Tango in Krefeld bekannt und beliebt zu machen.

Juan Carlos Tellechea ist Publizist, Journalist und Kritiker. Er wurde in Montevideo/Uruguay geboren. Er war für zahlreiche Medien in Europa, Lateinamerika und den USA tätig. Er lebt seit 1980 in Deutschland und schreibt heute als freier Kulturjournalist für das Online-Magazin www.mundoclasico.com.

Maria Carponi Flores unterstützt Flavia Latina im T-An-Go-Lo. Maria stammt aus Buenos Aires und lebt seit 20 Jahren in Deutschland. Erst hier hat sie Tango tanzen gelernt – denn es konnte einfach nicht sein, das Deutsche diesen Tanz beherrschen und sie nicht.

Klaus Kosmol nennt sich selbst einen spätberufenen Tango-Enthusiasten. Er tanzt nicht nur regelmäßig, sondern setzt sich auch dafür ein, den Tango in Krefeld bekannter zu machen. So gehörte er zu den Organisatoren eines „Tango-Flashmops“ vor dem Hansa Centrum während des Bandoneonfestivals.

Ort unseres Gesprächs ist das T-An-Go-Lo, in dem es regelmäßig „Milongas“ also Tangoveranstaltungen gibt. Das T-An-Go-Lo ist eine Mischung aus Café, Galerie und Tanzsaal und liegt sehr versteckt in einem Hinterhof in der Nähe des Krefelder Bahnhofs.

Tango ist für alle da

Tango bringt Menschen zusammen

Tango mit Akkordeon ist ein Sakrileg


Tango ist für alle da

Wer den Tango entdecken will, muss nicht nur gute Ortskenntnisse haben, sondern auch einige Vorurteile überwinden. Was sind die gängigen Klischees, denen ihr begegnet?
Maria: Tango ist für alte Leute! Das habe ich auch immer gedacht. Das hat aber etwas mit der Diktatur in Argentinien zu tun. Es durfte nicht getanzt werden und viele Künstler waren exiliert, auch Piazzolla. Als die Diktatur dann beendet war, waren es halt nur noch alte Leute, die den Tango beherrschten. Aber heute ist das wieder anders: Gerade war die Tango-Weltmeisterschaft, da waren junge Leute mit 23 Jahren, die da gewonnen haben.

Klaus: In Deutschland herrscht es schon so vor, dass vor allem ältere Leute tanzen. In Italien, Frankreich oder Buenos Aires sieht das schon anders aus, da sind deutlich jüngere Leute dabei. Insbesondere in Buenos Aires wird auch mit der alten Struktur der Milonga gebrochen und zwischendurch auch Mal Rock ’n‘ Roll getanzt oder Jazz gespielt.

Andrea: Das größte Tango-Klischee, das es in Europa gibt, entsteht durch die Verwechslung des argentinischen Tango mit dem Tanzschultango. Da hat man viele Bilder vor Augen mit diesen zackigen Kopfbewegungen. Viele Leute halten das für den argentinischen Tango, weil sie davon ausgehen, dass es nur einen Tango gibt. Aber das ist ja nicht so.

Was macht den argentinischen Tango aus?
Andrea: Auch der Ursprung des Tanzschultangos liegt im argentinische Tango. In Europa versuchte man dann, ihn festzulegen, wodurch man aber gerade seine Essenz tötete! In der Standardversion bleibt man oberflächig, gymnastisch. Im argentinischen Tango tanzt das Herz!

Klaus: … im Tanzschultango gibt es festgelegte Schritte, während der argentinische Tango von der Improvisation lebt. Da gibt es keine Vorschriften wie man zu tanzen hat. Das kommt aus dem Gefühl heraus, wie man die Musik interpretiert.

Armin: Das ist der Grund, warum ich nie Tango tanzen wollte: Weil ich dachte, das sieht genauso aus – mit eng aneinandergepressten Hüften und dann schüttelt man den Kopf und hat eine Rose im Mund. Das wäre für mich ein No-Go gewesen. Und das ist in den Köpfen vor allem von jungen Leuten noch drin. Wenn die dann noch in einen Salon gehen, wo der Altersdurchschnitt um die 60 ist und merken, wie schwer Tango zu lernen ist, ist die Motivation natürlich dahin. Deshalb gibt es im Tango Nachwuchsprobleme.

Andrea: … wobei jetzt nach der Pandemie durchaus auch jüngere Leute in unsere Kurse kommen. Deshalb ist es auch so wichtig, dass es Veranstaltungen gibt, wo kein Eintritt gezahlt werden muss.

Tango bringt Menschen zusammen

Neben den Kosten – was braucht es noch, um den Tango in Krefeld attraktiver zu machen?
Klaus: Genau, der Tango muss auch fürs Laufpublikum sichtbar werden. Deshalb haben wir vor kurzem eine Milonga am Hansa Centrum organisiert, direkt neben der Bronzefigur Heinrich Bands. Das war eine tolle Aktion!

Flavia: Dazu kann ich etwas Neues erzählen. Wir haben gerade ein Projekt mit dem Krefelder Kulturbüro und dem Stadtmarketing besprochen: Nächstes Jahr im Mai, wenn der Bandoneonpreis vergeben wird, werden wir auf dem Theaterplatz eine Open-Air-Milonga veranstalten. Und danach soll es jeden Monat eine solche Veranstaltung geben, immer an einem anderen Platz. Wir tanzen uns die Stadt schön!

Olaf: Guter Satz! Ich würde mal sagen, das Hansa Centrum ist nach dem Theaterplatz der zweitschlimmste Ort in Krefeld. Aber als wir dort die Tanzfläche aufgebaut haben, strahlte das auf das Umfeld ab. Selbst Leute, die am Rand der Gesellschaft stehen, waren sofort fasziniert und wollten mittanzen. Und ich bin mit Menschen ins Gespräch gekommen, die ich sonst eher gemieden hätte. Ich glaube, auch deshalb war die Stadt sofort Feuer und Flamme für unsere Idee – weil der Tango Menschen verbindet.  

Maria: Hierher kommen Argentinier, Russen, Italiener, Holländer, um Tango zu tanzen. Das finde ich so faszinierend: dass der Tango verschiedene Kulturen zusammenbringt.

Noch allerdings ist der Tango in Krefeld kaum sichtbar. Wie groß ist denn die Szene dieser Stadt?
Flavia: Die Tangoszene ist extrem gut vernetzt, deshalb sind es nicht nur Krefelder, die hier tanzen. Es kommen Leute aus Mönchengladbach, Düsseldorf, Roermond, Wuppertal und dem ganzen Ruhrgebiet zu uns.

Olaf: Über die Zugriffe auf unserer Website können wir sehen, dass Menschen aus einem Umkreis von 50 Kilometern sich für unsere Veranstaltungen interessieren. Wir tun also durchaus etwas für die Außenwirkung der Stadt.

Flavia: Es gibt diese Kerngeschichte mit Heinrich Band und es gibt eine tolle Szene. Eigentlich müsste Krefeld ein Hot Spot für den Tango sein. Aber alleine können wir das nicht erreichen, wir brauchen Unterstützung von der Stadt.

Tango mit Akkordeon ist ein Sakrileg

Juan Carlos: Die Geschichte von Heinrich Band ist wichtig. Gestern habe ich ein Stück gehört, die „Fantasie Nr. 2“, die Heinrich Band für das Bandoneon komponiert hat – gespielt von Santiago Cimadevilla. Eine wirklich gute Komposition. Und sie zeigt, dass das Bandoneon so etwas wie eine Berufung für den Tango gehabt hat – obwohl der Tango zu Bands Zeiten noch nicht erfunden war. Heinrich Band wollte die Konzertina modifizieren, er wollte eine andere Klangfarbe. Wenn man einen Tango hört, der auf einem Akkordeon gespielt wird, das hört sich ganz anders an: Das ist viel optimistischer; da fehlt die Melancholie, die Nostalgie und die Trauer.

Klaus: Es gab da kürzlich ein Konzert in der Royal Albert Hall: Stücke von Piazzolla, gespielt auf dem Akkordeon, das war kein richtiger Tango!

Juan Carlos: Ein Tango mit einem Akkordeon, da war Piazzolla dagegen! Ich kannte ihn persönlich, habe ihn in den 60er Jahren in Montevideo kennengelernt und ihn 1989, drei Jahre vor seinem Tod, das letzte Mal getroffen. Seine Komposition gespielt auf einem Akkordeon statt einem Bandoneon: Er hätte sich im Grab umgedreht – mehrere Male!